Nachlese NeujahrsEmpfang 2020 des Forum Einkauf im ÖPWZ

„Wenn Menschen mit Maschinen flüstern – wieviel analog braucht digital?“ Unter diesem Motto stand der NeujahrsEmpfang 2020 des Forum Einkauf im ÖPWZ am 23. Jänner im Haus der Industrie in Wien. Was bedeutet die fortschreitende Interaktion zwischen Mensch und Maschine, welchen Platz hat der Mensch in der Digitalisierung, welche Fragen hinsichtlich dieses Miteinanders werden uns im kommenden Jahrzehnt beschäftigen? Eine hochkarätige Runde lieferte spannende Impulse, die Keynote hielt Dr. Bernd Schönwälder, Vorstand, Mercateo.

Mag. Andreas Prenner, Bereichsleiter Personal, Finanzen und Organisation der Industriellenvereinigung, Präsident des ÖPWZ, begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste des Neujahrsempfangs 2020 und betonte, dass der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auch in der Industriellenvereinigung großes Gewicht beigemessen werde. In diesem Kontext sei auch das Thema „digitale Ethik“ ein wichtiges Zukunftsthema, dem man sich widmen müsse. „Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten und wir müssen lernen, mit ihm umzugehen“, so Mag. Prenner.

Bibiane Sibera, Generalsekretär Forum Einkauf, erinnerte in ihrer Begrüßung an die künstlerisch-cineastische Annäherung an unterschiedliche Visionen von Zukunft: Ob „2001: Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick, „Star Trek“ oder „Matrix“ – in diesen Geschichten geht es immer auch um den Platz des „analogen“ Menschen in einer „digitalen“ Welt, ja, die Storys fesseln und faszinieren gerade durch dieses Spannungsfeld und seine Implikationen. Bleibt die Frage, ob wir all die Konsequenzen, die die aktuellen Entwicklungen mit sich bringen, wirklich überschauen können – oder ob wir wie der „Zauberlehrling“ von Goethe bald schon rufen: „Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geister / Werd’ ich nun nicht los.“

Das war eine wunderbare Überleitung zur Keynote von Dr. Bernd Schönwälder, Vorstand, Mercateo Gruppe. „Digitalisierung ist kein Naturgesetz!, so die Überschrift, unter der Bernd Schönwälder, Wirtschaftswissenschaftler und Psychologe, das Motto des Abends aufgriff.

Was ist der prototypische digitale Begleiter, der Roboter, die Maschine: „Best Buddy“ oder „Psychopath“? Und wird es eines Tages, vielleicht schon bald, einen Punkt geben, an dem die digitalen Maschinen alles besser können werden als die Menschen? Das Publikum ist skeptisch, nur eine Hand hob sich bei der Frage, wer davon überzeugt sei, dass es eines Tages so eine digitale Superintelligenz geben werde. (Das fand Bernd Schönwälder interessant, denn üblicherweise zeigten besonders bei Vorträgen vor Führungskräften mehr Personen auf – die spannende Frage, warum das in diesem Rahmen anders war und welche Rolle die Wiener Mentalität hier spielt, konnte nicht weiter verfolgt werden; mit diversen Verweisen auf Ludwig Wittgenstein hat Bernd Schönwälder aber vielleicht eine Fährte gelegt für alle, die diesem Phänomen nachgehen möchten.)

Best Buddy oder Psychopath: Was bedeutet das? Bei Digitalisierung geht es immer um ganze Zahlen, um Logik. Um Muster. Und um deren Erkennung. Computer „sehen“ nichts, sie erkennen Muster. Und wenn ein einziges Pixel ausgetauscht wird, kann die künstliche Intelligenz, zum Beispiel die Software eines autonomen Fahrzeugs, nicht mehr erkennen, was genau da vor ihr steht. Dementsprechend „psychopathisch“ reagieren solche Systeme: Ihnen fehlt Empathie, sie empfinden keinen soziale Verantwortung, haben kein Gewissen. Diese Probleme sind derzeit nicht gelöst und auch die Frage, mit welchen Daten die Systeme trainiert werden, wirkt weit in die auch von Mag. Prenner angesprochene digitale Ethik hinein. Ein Albert Einstein zugeschriebenes Zitat besagt: „Not everything that counts can be counted, and not everything that can be counted counts.“ Bernd Schönwälder zeigt den Kontext auf, in dem wir uns hier bewegen: Physik, Relativitätstheorie, Quantenmechanik, Netzwerk- und Systemtheorie – und Philosophie.

Der Mensch schafft sich technologische Werkzeuge, um die Natur zu kontrollieren, aber sein „Betriebssystem“ widerspricht den Regeln der Logik. Abgesehen davon, dass sich viele Dinge nicht mit Logik erklären lassen. Nichts existiert unabhängig, alles hängt miteinander zusammen, unsere Welt ist ein Netzwerk – aus Beziehungen. Die großen Plattform-Unternehmen wie beispielsweise Google forschen und arbeiten auf Basis dieser Modelle und auch Mercateo verfolgt mit der Plattform „Unite“ den Netzwerkgedanken. Womit die Praxisrelevanz der Ausführungen von Bernd Schönwälder deutlich wird. Es geht um Kommunikation und dabei dürfen wir uns nicht von den Maschinen zuflüstern lassen, was Bedeutung für uns haben soll. Digitalisierung fordert uns heraus, zu verstehen, was uns als Menschen wirklich ausmacht – diese Frage wird das kommende Jahrzehnt prägen.

Worüber sprechen wir aber eigentlich, wenn wir von „analog“ und „digital“ sprechen? Mag.a Gabriela Scopp, Safe Exports, Präsidentin Forum Einkauf, rief zum Einstieg in die folgende Podiumsdiskussion dazu auf, diese Frage in einem größeren Kontext zu sehen, und spielte den Ball – in Form eines Wurfmikrofons – an das Publikum weiter. Papierbuch lesen statt Datei am Tablet, in einem echten Wald spazierengehen statt mit Datenbrille in einer virtuellen Realität, Cappuccino im Kaffeehaus und mit Freunden trinken statt Bilder davon auf Instagram anschauen – die Statements zeigten ganz klar ein „Gespür“ dafür, was die Unterschiede sind und dass es bei aller Digitalisierung im Alltag eine „analoge“ Form des Erlebens oder Fühlens gibt.

Die Zusammensetzung des Podiums garantierte eine nahtlose Fortsetzung der an Impulsen reichen Keynote. Univ.-Prof. Mag. Dr. Kurt Kotrschal, Department für Verhaltensbiologie, Universität Wien, Wolf Science Center; Mag. Alexander Mahovsky LL.M., Senior Legal Counsel, VAMED AG; FH-Prof. DDr. Sebastian Eschenbach, Head of Department of Digital Economy, Deputy Chair of the Academic Board, FH Wien; Enea Vlk, Schülerin, Vienna Business School; Josef Wagner, Partner, BSCC Better Solutions Coachingconsulting GmbH; und Dr. Bernd Schönwälder brachten, moderiert von Mag.a Gabriela Scopp weitere Argumente, warum der Faktor Mensch im Zeitalter der Digitalisierung nicht obsolet werden wird.

Spezifische Eigenschaften und Verhaltensmerkmale, die sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte des Menschen herausgebildet haben, können nicht von Maschinen übernommen werden. Die Komplexität der Prozesse in unserem Gehirn, unsere sozialen Skills und die Art und Weise, wie wir Dingen und Ereignissen Bedeutung geben, wie wir handeln, ja, verhandeln und gemeinsam Ergebnisse feiern – all das kann durch Digitalisierung und digitale Werkzeuge unterstützt und optimiert werden. Aber: „Wenn es wichtig ist, wird es analog“, wie der Verhandlungstrainer Josef Wagner betont. Was wir vielfach erst noch lernen müssen, ist ein „gesunder“ Umgang mit den digitalen Werkzeugen. Doch vieles liegt auch hier, wie so oft, in der Hand der Menschen und was sie daraus machen.

Mit diesem bei aller Komplexität der Fragestellung doch eindeutig positiven Grundtenor ging es dann zum Netzwerken und Gedankenaustausch am NeujahrsBuffet, wo über einige Themen aus Vortrag und Podiumsdiskussion noch angeregt weitergeplaudert wurde.

Zum Weiterlesen

Kurt Kotrschal: Mensch. Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen. Neueste Erkenntnisse der Evolutionsbiologie. Brandstätter Verlag 2019
Joachim Schulte: Wittgenstein. Eine Einführung. Reclam 2016
Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben. Piper (6. Auflage) 2007

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